Ein Pirat auf Abwegen?

Es ist manchmal erstaunlich, welche Themen die ansonsten jeden Pflasterstein zwei Mal umdrehende Lokalpresse liegen lässt. Zum Beispiel das Ende der Piratenpartei und den Übertritt des gewählten Piratenvertreters im Nürnberger Stadtrat zur CSU. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt als diese massiv nach rechts rückt und so den Abstand zu den eher linken Piraten noch eklatanter werden lässt. Oder stimmen diese Rechts-Links-Schemen gar nicht mehr? Sind vielleicht SPD oder Grüne für einen von Parteizwängen befreiten Stadtrat einfach zu unattraktiv? Möglicherweise hatte die CSU diesem aber auch einfach nur persönlich mehr zu bieten?

Ungeachtet solcher Fragen wurde in NN und NZ lediglich der Wechsel vermeldet (und das auch nur in Print, online fand der Übertritt nur im Marktspiegel statt) und aus der Erklärung des Ex-Piraten Michael Bengl zitiert, dass dieser „Politik als Mannschaftssport“ betrachtet und sich von seiner Piratencrew im Stich gelassen fühlte. Hier nochmal die gesamte Erklärung:

„Heute bin ich aus der Piratenpartei ausgetreten.

Ein Schritt, der mir nach sechs Jahren intensiver Parteiarbeit nicht leicht gefallen ist. Die Gründe für meinen Austritt sind vielfältig.

Ich sehe Politik als Mannschaftssport. Leider ist der größte Teil meiner Crew aber schon von Bord gegangen. Ende 2015 haben große Teile der Kernmannschaft den KV Nürnberg verlassen. Danach war irgendwie die Luft raus. Der Spaß, den wir zusammen hatten, war weg.

Zur Landtagswahl im letzten Jahr haben sich noch ein paar Mitstreiter gefunden, um Plakate in Nürnberg aufzuhängen. Abhängen durfte ich die Dinger dann allein. Unschön.

Ein anderer Grund ist, dass ich viele Themen der Piraten durch die praktische Arbeit in der Politik inzwischen etwas differenzierter sehe. Digitale Mitbestimmung und Bürgerbeteiligung sind als Schlagwörter immer recht schön. Wenn es aber dann an die Umsetzung geht, wird es kompliziert.

Meine Erfahrung der letzten Jahre zeigt: Je mehr man Basis und Bürgern einbinden will, desto professioneller muss der Prozess moderiert und begleitet werden. Ansonsten gibt es nur große Diskussionen und hinterher weiß keiner, wer jetzt eigentlich was will, und wie repräsentativ das Ergebnis ist.

Und gerade mit der digitalen Mitbestimmung haben sich die Piraten parteiintern nicht mit R(h)um bekleckert. Ein Basisentscheid ist immer noch nicht eingerichtet, und der parteiinterne Zwiespalt zwischen Datenschutz beim Wahlgeheimnis und der Verfechter der „Liquid Democracy“ ist nicht überbrückt.

Des Weiteren ist das Image der Piraten ziemlich ruiniert. Das wäre mir persönlich weniger wichtig, aber es erschwert meine politische Arbeit. Wenn ich bei Bürgern erwähne, das ich von den Piraten bin, werde ich meist belächelt und als Kuriosum betrachtet. Eine Kontaktaufnahme von Seiten der Bürger bleibt vollkommen aus. Deswegen agiere ich hier zur Zeit etwas im luftleeren Raum, der Bezug zur Basis bzw. den Bürgern fehlt mir.

Ich bin aber darauf angewiesen, die Stimmungslage der Stadt zu spüren und die Sorgen und Nöte der Bürger aufzunehmen und in den politischen Betrieb einzuspeisen. Das wird mir vom Label der Piraten erschwert, so dass ich mich schweren Herzens entschlossen habe, mein Engagement bei den Piraten zu beenden und mich neuen Herausforderungen zu stellen.

Es war eine schöne Zeit. Macht’s gut, und danke für den Fisch“

Von den Gründen, warum Bengl ausgerechnet zur CSU wechselt, erfährt der Leser nichts. Dabei hätte einen doch auch die Freude, die bei der CSU über diesen „Coup“ herrschte, schon stutzig machen können. So frohlockte beispielsweise CSU-Stadtrat Joachim Thiel (er ist wie Bengl gelernter Architekt) auf Facebook:

„Willkommen bei der Christlichen Seefahrt!

Partei- und Fraktionswechsel sind selten, kommen aber gelegentlich vor. Sehr selten sind aber Wechsel über weite Entfernungen der politischen Ufer und bei hohem Seegang..

Das haben wir jetzt, wahrscheinlich republikweit ein Novum, im Stadtrat von Nürnberg. Ratskollege Michael Bengl hat den weiten Sprung über die Planken gewagt und wechselt das Schiff.Ich freue mich sehr. Seit heute ist es amtlich.

Der Ex-Pirat mit dem ich in dieser Periode viele und interessante politische und fachliche Gespräche geführt habe, wechselt zur CSU. Schön. Er ist eine Bereicherung für unsere Fraktion.

Der Architekt(enkollege) der in Großbritannien studiert hat, ist ein exzellenter Experte in Fragen des Denkmalschutzes. In einer geschichtsträchtigen Stadt wie Nürnberg immer ein wichtiges Thema in der Stadtpoltik. Das wird einfach und schnell zusammengehen. Und ich freue mich ganz persönlich über die Verstärkung in Sachen Baukultur und Stadtbildpflege.

Bengl ist aber auch Experte in Sachen Datenschutz, informationelle Selbstbestimmung, digitale Demokratie und Bürgerbeteiligung. Das wird möglicherweise nicht ganz einfach aber auf jeden Fall interessant und garantiert spannende und konstruktive Diskussionen in der Fraktion.

Willkommen an Bord!“

Neben mir haben inzwischen auch etliche andere, darunter sicher auch Wähler, die mit ihrer Stimme für die Piraten wohl als allerletztes die CSU unterstützen wollten, nachgefragt, wie es zu der Entscheidung gekommen ist. Bengl hat jetzt darauf geantwortet:

Viele Menschen sind gerade verwundert, warum ich den in diesen Tagen ausgerechnet in die CSU eintrete. Klar ist, dass die großpolitische Wetterlage auf Bundesebene gerade etwas stürmisch ist, aber bei Sonnenschein und leichter Brise kann es ja jeder.

Die Gründe für meinen Wechsel zu den Konservativen sind vielschichtig. Auf der Metaebene erleben wir seit gut 20 Jahren einen Siegeszug des Neoliberalismus. Davon ist jeder Lebensbereich betroffen und die Auswirkungen bekommen wir gerade knallhart zu spüren. Beispiele sind für mich hier der globale Transportirrsinn oder das Insektensterben aufgrund von durchökonomisierten Monokulturen in der Landwirtschaft. Hier braucht es eine starke konservative Bewegung, welche die Auswüchse wieder einfängt und politisch in die richtige Bahn steuert.

Und auch auf kommunaler Ebene habe ich mit der CSU die breiteste Übereinstimmung. Die Altstadt mit ihrem prägenden Stadtbild wird hier von der Verwaltung etwas stiefmütterlich behandelt, und die Qualität des öffentlichen Raumes könnte hie und da auch besser sein.

Mit verschiedenen Mitgliedern aus Partei und Fraktion habe ich in Details und punktuell auch schon gut zusammen gearbeitet, und ich finde, dass sich um den CSU-Fraktionsvorsitzenden Marcus König gerade ein engagiertes Team bildet, das in Zukunft in Nürnberg etwas bewegen kann.

Ich freue mich jedenfalls auf eine gute Zusammenarbeit und darüber, dass ich so freundlich aufgenommen werde.

Dass er mit der Begründung (Insektensterben, Transportirrsinn, Monokulturen…) bei den Grünen eigentlich besser aufgehoben wäre, sieht Bengl übrigens nicht. In der durch ihn jetzt mit 22 Sitzen im Rat vertretenen CSU-Fraktion gebe es mit Otto Heimbucher schließlich auch einen anerkannten Umweltexperten.

Wenn die CSU also für Seiteneinsteiger – trotz aller aktuellen Entwicklungen – immer noch attraktiver ist als jene anderen Parteien, die diesem eigentlich von der inhaltlichen Ausrichtung her näher stehen müssten, würde mir das jedenfalls zu denken geben.

5 Gedanken zu „Ein Pirat auf Abwegen?“

  1. Die Piraten zu verlassen, ist vollkommen nachvollziehbar. In die CSU einzutreten mit dieser windelweichen Begründung und unter völliger Ignoranz der menschenfeindlichen Positionen in der CSU-Führung kann ich nicht verstehen. Soviel Pragmatismus kann man sich nicht mal schön saufen. Sehr enttäuscht!

  2. Ja die Piratenpartei ist tot. Ich habe die damals mit großen Interesse beobachtet und das obwohl ich selbst schon lange in der CSU bin. Habe dort sogar mal einen Vortrag gehalten. Das ging, weil es vor ein paar Jahren noch nicht so idiotlogisch aufgeheizt war.
    Jetzt ist das aber deutlich anders. Fachwissen ist nicht mehr gefragt. Und für Bengl muss ich sagen, dass die Piratenpartei auch für Konservative eine hohe Anziehungskraft hatte. Das jetzt wieder alles in Lagern verfällt ist nicht schön, zeigt aber, was wenige penetrante Kräfte zerstören können.

  3. Ich bin vor kurzem von dem Piraten zur CDU gewechselt. Kommunalpolitisch aus ähnlichen Gründen wie Michael Bengl.
    Gerade in Zeiten wo die Bundespolitischen Lautsprecher immer kruder werden, braucht die Union jede liberale Stimme, die bereit ist auch innerparteilich das Ruder wieder auf die Mitte auszurichten.
    Der Analyse des Ist-Zustand der Piraten von xwolf kann ich leider nur zustimmen.

  4. Hallo,

    ehrlich gesagt, kann ich viel von dem geschriebenen nachvollziehen.
    Die CSU wird oft nur oberflächlich anhand des unsäglichen Verhaltens von CSU-Bundesministern beurteilt. Die Kritik an deren Wirren und Erpressungsversuchen, ihren skrupelosen Lobbyismus (bspw. in Fragen der Autoindustrie) ist berechtigt und muss laut gesagt werden.
    Gleichwohl ist es dämlich, die CSU nur nach den Wirken dieser Wirrköpfe zu beurteilen. Die Basis der CSU ist in der Bevölkerung an vielen Stellen positiv tätig und thematisch breit aufgestellt – wie man in obigen Beispiel auch in Blick auf Fragen von Naturschutz oder Ökonomie sieht.

    Wenn Piraten die CSU also nur danach beurteilen, was Wirrköpfe an der Spitze von sich geben, sollte darüber nachdenken, ob dann ein Urteil über die Piraten als eine Partei der Sackkarren-Mörder, der stalinistischen Träumer und der mit Nippeln provozierenden Bomber-Harris-Wirrköpfe gleichzusetzen ist.
    Und auch das von Bengl aufgeführte Beispiel hinsichtlich IT-Kompetenz der Piratenpartei ist meiner Meinung nach korrekt: Die Piratenpartei vertritt schon lange nicht mehr die Netizens und eine Generation, die mit und in Social Media und Netz groß geworden sind. Stattdessen bekämpft sie diese in der Praxis unverholen.

    Die Piratenpartei hat sich in all den Jahren ihrer Existenz keine grundlegende organisatorischen Basis geben können. Selbst der Bonus der Landtagsvertretungen wurde nicht genutzt um organisatorische Weichenstellungen vorzunehmen, die notwendig sind, um Parteileben und innerparteiliche Diskussionen und Entscheidungsfindungen voranzutreiben.
    Noch heute debattiert man bei den Piraten über Rolle, Verantwortlichkeit und Tätigkeiten von Vorständen und patcht darüber jeweils durch andere Richtungen durch andere Leute mit Satzungsänderungsanträgen auf jedem BPT.

    Auch ursprüngliche Ziele und Ideale der Piraten werden nicht mehr durch die Piratenpartei vertreten. Postgender, Postprivacy, die Ablehnung der eindimensionalen Systematik des politischen Spektrums, …
    Wir Piraten wollten Expertenwissen fördern. Ein Slogan, der sehr viel Leute von den Piraten überzeugte war unter anderem der, dass man wenn man zu einem Thema nicht bescheid wüsste, jemand fragen würde der dies tue.

    Kaum etwas davon ist über. Die Piratenpartei erzeugt einseitige Presseartikel und Fordern; Sie reagiert auf Tagesgeschehen, aber sie agiert nicht mehr. Sie liefert keine Lösungen mehr.
    Sie vertritt die digitale Generation nicht mehr, sondern will es ihr sogar erschweren, wenn sie fordert, dass aus den einseitigen Gründen des Datenschutzes die Wünsche und Bedürfnisse und das digitale Leben dieser neuen digitalen Generation eingeschränkt und behindert werden -als Kollateralschaden, nur weil man es Google und Facebook so richtig zeigen wollte.

    Die Piraten wurden zu einer Form einer Online-WG, die schlau daher redet, aber keine Lösungen anbietet.
    Auch was den Zusammenhalt angeht, braucht man nur ein Blick in das Forum der Partei zu werfen. Wenn eine ewig lange Diskussion sich darüber dreht, dass ein Pirat eine gegnerische Partei verbal anging und das es deswegen eine OM gegen diesen geben muss, dann muss man sich doch fragen, ob dort die Leute noch wissen, was sie tun.

    Für mich sieht die Zukunft der Piratenpartei zappenduster aus, sollte es nicht doch noch zu einer Wendung kommen.

    Ciao,
    Wolfgang

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