Versehentlich eine Million Euro ausgeben. Kann passieren. Dir und mir, natürlich nicht. Wir haben nicht so viel. Der Stadt Nürnberg aber schon. Obwohl die angeblich auch nicht so gesattelt ist.
Von dieser Mehrausgabe habt ihr in euren Lokalmedien bislang nichts gelesen. Vielleicht war der Betrag zu popelig. Vielleicht war es den Kollegen auch peinlich, dass ihrem Idol, unserem Analog-Uli, auch mal ein Fehler unterläuft. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Wählergemeinschaft „Die Guten“ nur eine semi-professionelle PR-Abteilung besitzt.
Hätten die da Experten sitzen, die wären längst damit hausieren gegangen, dass es nur ihrer beispiellosen Initiative zu verdanken ist, wenn jetzt für städtische Wohnungsbaudarlehen eine Million Euro mehr zur Verfügung steht. Der Wohnungsmangel in Nürnberg ist schließlich evident und da kann man mit einer solchen Meldung durchaus Punkte machen.
Ich habe erst jetzt durch die, ansonsten gern verteufelten, sozialen Netzwerke davon erfahren, dass bei den jüngsten Haushaltsberatungen die Stadtratsmehrheit versehentlich für den Guten-Antrag gestimmt und damit eine Million Euro zusätzlich genehmigt hat.
Berichtenswert ist der Vorgang auch jetzt noch. Belegt er doch, wohin ein auf Zeit- und Arbeitsökonomie getrimmter Parlamentarismus selbst auf unterster Ebene führt. Wobei ich freilich zugeben muss: Mich haben die ausufernden Haushaltsdebatten als Berichterstatter seinerzeit auch genervt, weshalb ich froh war, dass unser Analog-Uli da für Beschleunigung gesorgt hat. Nun hat es ihn deshalb mal kurz aus der Kurve getragen.
Etwas Entschleunigung scheint also vonnöten.
So gestimmt solltet ihr euch noch den lesenswerten Bericht des Guten-Stadtrats Stephan Grosse-Grollmann zu den Nürnberger Haushaltsberatungen reinziehen. Hier ist er in voller Länge (das Baby wurde von mir verlinkt):
Liebe Gute,
nun eine ausführlichere Schilderung der Haushaltsberatungen 2018.
Nachdem die beiden Zeitungen aus dem Pressehaus etwas eigenwillig berichtet hatten über das Ganze (z.B. Zahlen statt Inhalte, ein Bericht über das Baby von Frau Liberova und Lustiges oder besser das, was sie lustig empfanden), möchte ich etwas ausholen.Angehängt habe ich meine Presseinfo vom Wochenanfang, mit der die Presse nichts anzufangen wusste. Und meine Rede vom Donnerstagvormittag, die auch nicht in der Presse erwähnt wurde, aber von meinen Stadtratskollegen beklatscht wurde. Da erwähne ich deshalb, weil ich es nicht gewohnt bin, Beifall von mehreren Seiten zu bekommen. Ein Einzelstadtrat bekommt meist keinen Beifall – auch bei mir war das meist so in den vielen Jahren – bei Zweiergruppen klatscht der andere und sonst meist keiner. Warum das so war, erklärt sich mir bestenfalls daraus, dass sie doch einen gewissen Unterhaltungswert hatte und man natürlich an sich den Gedanken in einer Rede zustimmen kann, ohne Position zeigen zu müssen danach, wenn es um die Umsetzung der Inhalte geht. Der berühmte Fraktionszwang fesselt ja die Mitglieder.
Ich hatte mich in meiner Rede von den drei Themen leiten lassen, die mir bei den Anträgen am wichtigsten waren – Verkehr, Umwelt, Kultur. Klar fällt so natürlich auch etwas weg, das Soziale fehlte. Hier findet ihr in den Anträgen etwas zum Frauengesundheitszentrum und zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Die Rede hatte drei Teile „Der Fortschritt“, „Wenn wir nichts tun“ und „Zur Kultur“. Beim ersten baute ich eine Geschichte aus meiner eigenen Geschichte, die das Thema Individualverkehr, Wachstum, Selbstwertgefühl integriert. Beim Zweiten musste ich mich mal zum Versiegeln und zum Verbrauchen etwas auslassen, und weil die Zukunft unserer Stadt meine größte Sorge auch ist. Bei der Kultur musste mein Ärger raus, der sich ja auch in de Änderungsanträgen und ihren Begründungen wiederspiegelt. Hier war das vergangene Jahr besonders mies. Nach meiner Rede ging die Referentin. Ihr war es wohl zu viel. Kam zwar wieder nach ein paar Minuten, am Nachmittag, als es um die Ablehnung meiner vielen Kulturanträge ging, war sie nicht da. Nichts Ungewöhnliches bei ihr, zeigt es aber doch auch, wie egal ihr das Ganze ist. Mein Kollege Michael Bengl meinte, sie sei die Referentin, welche am seltensten anwesend ist.
„Natürlich“ wurden auch meine anderen Anträge außerhalb der Kultur abgelehnt bis auf einen, und Äußerungen gab es nur beim Thema Straßenbahn und Gräfenbergbahn. Über Naturthemen wird nie gesprochen, auch über Straßenbau nicht, was mich natürlich auch oft etwas ermatten lässt, wenn die einzelnen Anträge an der Reihe sind. Es wird eh fast über nichts mehr diskutiert. Wozu auch, wenn SPD, CSU und meist auch Grüne alles vorher absprechen und deshalb auch fast komplett auf Anträge verzichten. Die beste Haushaltrede dieses Jahr hielt übrigens Titus Schüller, der ja in jungen Jahren mal bei uns dabei war. Ich schätze seine Art, wie er argumentiert, wie er sich vorbereitet. Oft auch, was er zu sagen hat.
Zurück zum Vorgang Anträge ablehnen: Der OB als Sitzungsleiter ruft den einzelnen Antrag auf, SPD und CSU Fraktion wissen meist, wenn er die Hand hebt, müssen sie auch dagegen sein. Tut er es nicht, sind sie dafür, die Stadträte, welche angeblich nach ihrem Gewissen entscheiden…. Und nach ihrem Wissen. Dieses frustierende Verhalten bin ich gewohnt seit vielen Jahren, oft auch von den Grünen. Das geht natürlich auch so weit, dass eine ganze Fraktion gegen etwas stimmt, obwohl sie es gerne hätten. Dann ist der Grund, dass sie es eben nicht selbst beantragt hatten.
Bei zwei Bereichen, dem Haushaltsplan (viele kleine Änderungen von Verwaltung, Guten, ÖDP, Linken, FDP, BIA) und dem Mittelfristigen Investitionsplan (viele große Änderungen von Verwaltung, Guten, ÖDP, Linken) muss man genau aufpassen, dass man nicht falsch abstimmt. Das ist ein Abstimmungsmarathon. Manche Anträge haben Bezug zueinander und werden zusammengefasst, andere haben in Teilbereichen Bezug zu einem anderen Antrag. Es gibt noch andere Hürden. Aber irgendwie klappt es immer, es sind ja viele Augen aufmerksam bei diesem Prozess. Ich kann mich an keinen großen Ausrutscher die ganzen 22 Jahre erinnern. Dieses Mal gab es einen.
Im Mittelfristigen Investitionsplan, das ist der Plan, wo die großen Dinge für die nächsten vier Jahre beschlossen werden (Bau, Verkehr, Schulen und vieles mehr), waren wir schon ziemlich weit fortgeschritten in den Abstimmungen. Von 69 Änderungsanträgen waren 66 schon beschlossen. Vor Antrag Nr.67 waren viele Anträge der Verwaltung, welche als laufendes Geschäft eigentlich immer durchgewunken werden. Keine Gegenstimmen, zumindest von den Fraktionen. Nr.67 wurde vom OB aufgerufen. Er fragt nach den Gegenstimmen, ohne selbst zu merken, von wem der Antrag ist. Er war nicht von der Verwaltung sondern von mir. Üblicherweise blickt er mich dann an, um zu sehen, ob ich was dazu sagen wolle. Dieses Mal fragte er, nachdem er das Thema vorlas, „Städtische Wohnungsbaudarlehen“, nur nach den Gegenstimmen und ließ seine Hand unten. Offensichtlich hat in diesem Moment die gesamte SPD Fraktion, die gesamte CSU Fraktion und wohl auch die Referentenriege geschlafen. Niemand hob die Hand, der Antrag war damit einstimmig angenommen. Als erster merkte Jan Gehrke, dass da etwas von mir durchkam, dann mussten die Linken laut lachen. So wurde dem OB klar, dass da etwas falsch gelaufen war. Eine gewisse Unruhe kam auf, ich meinte, das sei nun so beschlossen. Das war es dann auch und so ist es nun: Im Mittelfristigen Investitionsplan 2018-2021 sind nun insgesamt eine Million € mehr ausgewiesen für Darlehen bei sozialem Wohnungsbau. Der OB nahm es später mit Humor und meinte zu mir, dass sei ja ein gutes Thema. Ja, so habe ich also einmal bei den Haushaltsberatungen im Lotto gewonnen…
Noch eine kleine Korrektur am Rande: Die NZ zitierte Mletzko falsch, der ein falsches Zitat einer falschen Person zuordnete. Er sprach ja auch frei, da kann man schon mal was durcheinanderbringen. Als Michael Bengl dran war mit seiner Haushaltsrede, meinte er: “Achim, ich bewundere dich, dass du so frei und ohne Konzept sprichst“. Das sorgte für Lacher. Achim entschuldigte sich später bei ihm. Hätte es nicht gebraucht, denn das mit dem fehlenden Konzept kam dann auf, als seine Fraktionskolleginnen im Verlauf der Sitzung noch Themen ansprechen mussten, die er vergessen hatte in seiner Haushaltsrede. So konnte Maly den Begriff „frei und ohne Konzept“ noch einmal verwenden.
Schöne Grüße, Stephan
Update: Wie Piratenstadtrat Michael Bengl anmerkt, ist die Million zwar in den Haushalt eingestellt und noch nicht ausgegeben worden. Außerdem habe sich Bengl bei Mletzko entschuldigt und nicht umgekehrt.
ÄÄÄÄÄÄhem…
Ich muss das Adjektiv „semiprofessionell“ weit von mir weisen. Als Vollzeit-Berufstätiger mache ich die Internet- Pressearbeit schlechter als amateurhaft und danke für diesen Artikel.
Wenn es einen interessiert- der Job ist zu haben und wir Guten treffen uns jeden 2. Freitag im Monat- reden über Politik und so…
Und manchmal kluge Anträge besprechen.